Tierarzt Dr. Klaus Küssel – der Arzt, dem die Tiere vertrauen – Folge 13

„Konnie, wie geht es dir?“ Dr. Küssel war auf einen Sprung bei der Gräfin vorbeigefahren, um nach ihr zu sehen. „So, wie ich aussehe“, antwortete sie. Sie ließ sich auf ein Sofa sinken. Dort hing sie beinahe liegend auf der Kante und legte eine Hand auf den ballonartigen Bauch, während sie sich mit dem anderen Arm auf den Polstern abstützte. „Ich habe genug davon, als Tonne zu leben. Wenn dieses Kind nicht bald kommt, werde ich es rausschubsen.“ „Aber Konnie, so was darfst du nicht sagen. Wann ist noch mal der Geburtstermin?“ „Der war vorgestern. Scheint ein Spätzünder zu werden.“

Es war kaum zu glauben, dass diese Frau bei ihrem Kennenlernen eine göttliche Figur und einen makellosen Geschmack in Sachen Kleidung gehabt hatte. Jetzt war sie mit einer Jogginghose, aus der sie das Gummiband entfernt hatte, und einer Bluse bekleidet, die über dem Nabel gefährlich spannte. Beim nächsten tiefen Atemholen sprang der Knopf davon. „Ach, Mist, das ist jetzt schon die vierte Bluse, bei der mir das passiert ist. Wenn das so weitergeht, muss ich mich nach der Geburt neu einkleiden.“ Der nackte Bauch wölbte sich aus dem Stoff und Dr. Küssel legte seine Hand darauf. Prompt bekam er einen kräftigen Tritt. „Lass das lieber, Klaus. Das ist so eng da drin, dass er gegen jede Berührung protestiert.“

Mühselig erhob sie sich und hängte sich bei dem werdenden Vater ein. „Komm, lass uns ein paar Schritte im Garten machen. Wie geht es Saskia?“ Sie traten hinaus in die laue Frühlingsluft. „Prächtig! Habe ich schon erzählt, dass es Zwillinge sind? Mutter platzt beinahe vor Stolz. Naja, wer bekommt auch schon vier Kinder so dicht hintereinander von drei verschiedenen Müttern?!“ „Wann ist es bei ihr soweit?“ „In drei Monaten, so gegen Ende August.“ „Hoffentlich erben sie nicht ihre Augen und ihre Stimme.“ „Wieso?“

Die Gräfin seufzte. Manchmal – nicht oft, aber doch ab und zu – beschlich sie der Verdacht, dass der Tierarzt nicht der Hellste war. Aber was machte das? Er war schließlich ein Mann und in dieser Hinsicht voll funktionstüchtig. Sie rieb ihren unangenehm spannenden Leib und seufzte noch einmal. „Fühlst du dich nicht wohl?“, fragte Dr. Küssel besorgt. „Nein, nein, alles bestens“, gab sie zur Antwort.

Ein Geräusch von hinter der Mauer, die den Garten umgab, ließ sie zusammenzucken. Sie drehte sich um. Nichts! Doch im nächsten Moment dachte sie, ihr Herz müsste stehenbleiben. Mit einem Satz sprang eine Gestalt von der Mauer direkt vor ihre Füße. Es war Sabine, fast unkenntlich in ihrer Verwahrlosung. Sie richtete ein Maschinengewehr auf die Gräfin. Dr. Küssel spazierte indessen ein Stück weiter vorn ahnungslos weiter. Die Gräfin wagte nicht, etwas zu sagen. Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf die Waffe. Dann fiel ihr auf, dass Sabine auf Normalgröße geschrumpft war. Hatte sie ihr Kind verloren? Oder ordnungsgemäß zur Welt gebracht?

„Klaus!“ Sabines scharfe Stimme zischte durch die Luft. Dr. Küssel drehte sich um. „Oh, hallo Sabine, wie geht es dir?“ „Toll! Aber gleich noch viel besser, weil ich dich nämlich erschießen werde.“ Sie richtete das Gewehr auf ihn und machte einen Schritt in seine Richtung. Die Gräfin erkannte die Chance und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht auf Sabine. Zusammen stürzten sie zu Boden. „Klaus“, schrie die Gräfin, doch der Tierarzt stand wie gelähmt da und wusste nicht, was er tun sollte. Sabine gelang es, die Angreiferin von sich zu wälzen. Sie stürzte sich in das Gebüsch, in welches ihre Waffe gefallen war, und riss das Gewehr wieder an sich.

Die Gräfin erhob sich, so schnell sie konnte, und wankte ins Haus. Dr. Küssel tat es ihr nach, als seine ehemalige Assistentin erneut auf ihn anlegte. Die Schüsse verfehlten ihn knapp. Er sah, wie sich die Gräfin hinter einen Schrank warf, rannte an ihr vorbei zur Küche. Sabine folgte ihm. Er sprintete durch die nächste Tür zurück in einen Flur, von da in die Eingangshalle und zur Vordertür hinaus. Panisch überlegte er, welchen Weg er nehmen sollte und entschied sich für den über die Terrasse zum Pool, von wo ein Tor in ein Wäldchen führte. Er hechtete vorwärts, gefolgt von dem röchelnden Atem der Wahnsinnigen. Er sprang die Stufen hinunter, hörte ein Plumpsen und ein Knacken und setzte über das Tor.

Im Wald bemerkte er, dass er alleine war. Er blieb stehen und sah sich um. Sabine war nicht zu sehen. Er fürchtete, dass sie zurück ins Haus gegangen sein könnte, um der Gräfin etwas anzutun. Er joggte keuchend den Weg zurück. Am Pool stoppte er abrupt. Auf dem Boden lag der leblose Körper seiner ehemaligen Assistentin, ihr Kopf war seltsam abgeknickt. Das Gewehr lag daneben, Sabines Finger noch am Abzug.

„Sabine?“ Sie sah nicht lebendig aus, eher tot. Er wagte sich hinunter und stellte fest, dass er richtig vermutet hatte. Dann ging er ins Haus, um nach der Gräfin zu sehen. Er fand sie, sich vor Schmerzen windend. „Konnie, was ist? Geht es los?“ Sie nickte mit verzerrtem Gesicht. „Was ist mit dieser Verrückten?“, stieß sie hervor.  „Sie ist tot. Sie muss in den Pool gefallen sein und sich dabei das Genick gebrochen haben.“ „Gut! Hol Charles, er weiß, wo mein Koffer steht.“  Dr. Küssel stürzte davon.

Als der Chauffeur mit der Gräfin im Auto davongefahren war, ging er zu seinem eigenen Wagen hinüber. Aus dem Gebüsch drangen leise Geräusche. Er schaute hinein. Da lag ein Baby – Sabines Baby. Und seines.

© Simone Ehrhardt